Spiegelwelten: Wie der Krieg anders verlaufen sein könnte

Juli 3, 2010

Auf NZZ Online habe ich soeben einen interessanten Artikel vom britischen Historiker Ian Kershaw (schrieb die Hitlerbiografie) entdeckt. Folgender Text ist fiktiv und stellt jediglich dar, was hätte geschehen können:

Nach dem schnellen Vorstoss der deutschen Armee durch Belgien und Frankreich waren im Mai 1940 Hunderttausende britischer, französischer und belgischer Soldaten beim Hafen von Dünkirchen an der nordfranzösischen Küste eingekesselt. Am 24. Mai liess Hitler den Angriff abbrechen. Die Briten nutzten die Zeit, um mit Hilfe der Flotte und sämtlicher verfügbaren zivilen Schiffe die Massenevakuation der 198 000 britischen und 140 000 französischen und belgischen Soldaten ins Werk zu setzen. Die gelungene Aktion stärkte die Moral der britischen Bevölkerung und ihre Entschlossenheit weiterzukämpfen. Aber was wäre geschehen, wenn Hitler den Befehl zur Vernichtung der alliierten Streitkräfte gegeben hätte? Wie hätte sich solch ein Entscheid auf den Kriegsverlauf und die fernere Zukunft ausgewirkt?

Am Morgen des 24. Mai 1940 war Adolf Hitler heiter und bestens aufgelegt. Seine Panzerdivisionen standen keine 25 Kilometer mehr vom Überrest der besiegten englischen Armee entfernt, die beim Hafen von Dünkirchen in der Falle sass. Der endgültige Sieg schien in greifbarer Nähe. Aber in Charleville, dem Hauptquartier der Heeresgruppe A, die den Vorstoss durch die Ardennen getragen hatte, vernahm er zu seinem Erstaunen, dass deren Oberkommandant, Generaloberst Gerd von Rundstedt, den Angriff abbrechen wollte. Rundstedt ging davon aus, dass den Briten alle Fluchtwege abgeschnitten waren und dass die Bombardements der Luftwaffe sie binnen kurzem zur Kapitulation zwingen würden. Er wollte seine Panzerverbände möglichst unversehrt nach Süden gegen die französische Armee führen können.

Hitler zauderte einen Moment. Er beschloss, den Oberkommandanten des Heeres, Walther von Brauchitsch, und den Generalstabschef Franz Halder zu konsultieren, die beide anderer Ansicht als Rundstedt waren. Sie rieten Hitler, die britischen Streitkräfte sofort und endgültig zu zerschlagen. Hermann Göring, Oberbefehlshaber der Luftwaffe und Hitlers designierter Nachfolger, stimmte dem ebenfalls bei. Hitler, seiner Sache gewiss, schob Rundstedts Argumente beiseite und befahl den Angriff auf Dünkirchen. Es war ein ungleicher Kampf. Die Briten und ihre Alliierten hatten praktisch alle schweren Waffen bei ihrem überstürzten Rückzug zurückgelassen; sie hatten kaum Munition und wenig Lebensmittel, keine Hoffnung auf Hilfe und keine Chance durchzuhalten.
Ruhe an der Westfront

Am 28. Mai ersuchte Lord Gort, der Oberbefehlshaber der British Expeditionary Force, bei dem kleinen, vom neuen Premierminister Winston Churchill einberufenen Kriegskabinett um Erlaubnis zur Kapitulation. Widerwillig stimmte Churchill zu. Gleichentags ergab sich Belgien; Frankreich, ohne Alliierte und mit einer zusehends aufgeriebenen Armee, folgte binnen kurzem nach. Als es am 28. Mai Mitternacht schlug, verstummten die Kanonen an der Westfront, und ein befristeter Waffenstillstand wurde ausgerufen. Diejenigen alliierten Soldaten, die bei Dünkirchen nicht gefallen oder schwer verletzt worden waren, wurden zu langen, elenden Marschkolonnen zusammengetrieben und in deutsche Gefangenschaft geführt. Nie zuvor hatte Grossbritannien eine derartige Niederlage erlebt.

In London tagte derweil das Kriegskabinett fast ununterbrochen; in hitzigen Debatten verhandelte man über das weitere Vorgehen. Allem Geschehenen zum Trotz wollte Churchill die Fahne hochhalten – ein ehrenvoller Untergang schien ihm besser als feige Kapitulation. Die anderen Kabinettsmitglieder stellten sich geschlossen gegen den Premierminister: Neville Chamberlain, der vormalige Premierminister und Parteiführer der Konservativen; Lord Halifax, der Aussenminister; Clement Attlee und Arthur Greenwood, Chef und Vizechef der Labourpartei. Churchills Haltung schien ihnen sinnlos und übertrieben emotional, während sich anderweitig ein Ausweg abzuzeichnen schien: Drei Tage zuvor, am 25. Mai, hatte Signor Bastianini, der italienische Botschafter in London, mit Lord Halifax Verbindung aufgenommen und ihm – der hoffnungslosen Lage der eingekesselten britischen Armee wohl bewusst – die Möglichkeit eines durch Benito Mussolini vermittelten Friedensschlusses in Aussicht gestellt.

Churchill sträubte sich, doch die anderen Kabinettsmitglieder liessen sich von Lord Halifax überzeugen. Die Armee war verloren, die Luftwaffe noch immer schwach. Von den Vereinigten Staaten war keine Hilfe zu erwarten. Setzte man den Kampf fort, würde man sich sicher nur weitere sinnlose Zerstörungen und mit einiger Wahrscheinlichkeit eine deutsche Invasion Englands einhandeln. Ein Abkommen zur Beendigung der Kampfhandlungen würde den dauernden Bombardements britischer Städte ein Ende setzen und das Land vor einer möglichen deutschen Besetzung bewahren. Ein gewichtiges Argument schien Lord Halifax auch die Möglichkeit, dass auf diese Weise das britische Empire noch gerettet werden könnte. Chamberlain stellte sich entschieden hinter Halifax. Attlee und Greenwood, erst unlängst zur Regierungsspitze gestossen, schlossen sich ihnen an. Churchill stand isoliert und erwog, sein Amt niederzulegen; aber er wollte eine sichtbare Spaltung der Regierung vermeiden und stimmte Halifax‘ Vorschlag mit denkbar schwerem Herzen zu. Er wusste, dass dies den Abschied von all dem bedeutete, wofür er eingestanden war, zudem das Ende seiner politischen Laufbahn und, mit aller Wahrscheinlichkeit, eine Katastrophe für sein Land.

Ungesäumt berief Mussolini auf den 2. und 3. Juni eine Konferenz in Brüssel ein. Die vier Grossmächte hatten sich Ende September 1938 in München getroffen, als England und Frankreich in die Annexion des Sudetenlandes durch das Deutsche Reich einwilligten, statt sich gegen Hitler zu stellen; nun kehrten sie an den Verhandlungstisch zurück. Während sich Mussolini selbstgefällig in der Rolle des Vermittlers sonnte, betrachtete er die möglichen Konsequenzen des Abkommens im Stillen mit gemischten Gefühlen. Er war sicher, dass Italien im Mittelmeerraum einiges Territorium auf Kosten der Briten gewinnen würde – doch verdankte er diese Gewinne deutscher Schlagkraft, nicht den italienischen Siegen in einem europaweiten Krieg, die er sich erhofft hatte. Der Lorbeer gehörte Hitler allein. Und der hochfahrende Sieger liess bei der Brüsseler Konferenz denn auch niemanden – am allerwenigsten Mussolini – im Zweifel über seine Grosstat und seine absolute Vorherrschaft über West- und Mitteleuropa.
Hitlers Bedingungen

Vor der Brüsseler Konferenz hatte Hitler drei Bedingungen für seine Verhandlungsbereitschaft aufgestellt. Erstens musste Churchill sein Amt als Premierminister abgeben und durfte nicht an den Friedensgesprächen teilnehmen. Zur Demission gezwungen, flüchteten Churchill und seine nächsten Angehörigen tags darauf nach Kanada ins Exil. Zweitens durften sich weder die britische noch die französische Flotte von ihrem derzeitigen Standort entfernen. Drittens schliesslich sollte das Friedensabkommen an zwei Orten unterzeichnet werden. Die Briten würden ihre Unterschrift beim Kriegsdenkmal an der Somme unter das Dokument setzen – an dem Ort, wo Hitler 1916 gekämpft hatte und verwundet wurde –, die Franzosen dagegen in dem Eisenbahnwagen im Wald von Compiègne, wo 1918 der Waffenstillstand beschlossen worden war, der den Ersten Weltkrieg beendete und den Hitler als äusserste Demütigung für Deutschland betrachtete. Im Gegenzug war der deutsche Diktator bereit, den Fortbestand der britischen und französischen Kolonialreiche in weitgehend unveränderten Grenzen zuzusichern.

Hitler holte das Maximum aus dem Abkommen heraus. Entgegen Lord Halifax‘ Versicherungen gab es für die Briten keinen Weg zurück, nachdem sie sich einmal auf Verhandlungen eingelassen hatten. Nach Dünkirchen war die englische Kampfmoral am Boden zerstört. Halifax und der soeben eingesetzte Premierminister Chamberlain, die Grossbritannien in Brüssel vertraten, beugten sich dem Unvermeidlichen. Bedeutende territoriale Verluste mussten in Kauf genommen werden; sogar die Kanalinseln und die Shetlandinseln gingen in deutschen Besitz über. Der irische Freistaat, nominell noch immer neutral, willigte in die Stationierung deutscher Truppen in Dublin ein und gestattete der Luftwaffe die Benutzung irischer Flugplätze, womit Grossbritannien zu militärischer Abwehr ausserstande war.

Obwohl Hitler das britische Empire weiterbestehen liess, reduzierte er es zu einer blossen Hülse dessen, was es einst gewesen war. Die britischen Rechte an den Ölfeldern im Mittleren Osten gingen an Deutschland, ebenso die Mandatsverwaltung in jener Region und die Kontrolle über den Suezkanal. Sekundiert von seinem bullenbeisserischen Aussenminister Ribbentrop, forderte Hitler einen beträchtlichen Anteil an den britischen, französischen und belgischen Kolonien in Afrika ein und sicherte Deutschland damit beträchtliche Machtansprüche auf dem Schwarzen Kontinent. Malta, Gibraltar, Algerien und Tunesien waren bei der Brüsseler Konferenz Mussolini zugefallen; damit dominierten die Achsenmächte den gesamten Mittelmeerraum.
Gebrochene Grossmächte

Die totale Unterwerfung der besiegten westlichen Demokratien war mit der Auflösung der französischen und der britischen Flotte besiegelt. Frankreich wurde in zwei Zonen aufgeteilt, wobei der Norden des Landes direkt deutscher Aufsicht unterstand, während der Süden nominell unabhängig war und von einer Marionettenregierung in Vichy verwaltet wurde. Die Franzosen hatten ursprünglich der Brüsseler Konferenz empört den Rücken gekehrt und versucht, ihre ramponierten Streitkräfte erneut ins Feld zu führen; doch die deutschen Truppen hatten den aufflackernden Widerstand rasch gebrochen und Paris besetzt. Danach kapitulierten die Franzosen endgültig.

Hitler behauptete, dass er England – ein Land, das er laut eigenem Bekunden sehr bewunderte – grosszügiger behandelt hätte. England sollte nicht besetzt werden; zumindest nominell würde es unabhängig bleiben und sein (wenn auch verstümmeltes) Empire bewahren können. Aber er bestand auf einer Regierung, welche die deutschen Interessen vertrat. Unmittelbar nach der Brüsseler Konferenz machte Chamberlain gesundheitliche Gründe geltend, um von seinem Amt zurückzutreten – tatsächlich starb er noch im selben Jahr an Krebs. Der vormalige Premierminister David Lloyd George, der England im Ersten Weltkrieg zum Sieg geführt hatte, liess sich zur Bildung einer Marionettenregierung überreden. (Lloyd George hatte sich nach seiner ersten Begegnung mit Hitler im Jahr 1936 bewundernd über ihn geäussert.) Halifax blieb Aussenminister; Oswald Mosley, der erst kürzlich aus dem Gefängnis entlassene britische Faschistenführer, nahm den neugeschaffenen Posten des Innenministers an. Ribbentrop plädierte dafür, dass König Georg VI. zur Abdankung gezwungen werden und dessen Bruder Edward VIII. – der Deutschland wohlgesinnt war – auf den Thron zurückkehren solle. Die Zeremonie fand Ende Juni statt, George VI. wurde in Balmoral unter Hausarrest gestellt. Als 1940 der Herbst anbrach, war Grossbritannien ein Satellitenstaat des Deutschen Reiches geworden.

Diese gewaltigen Umbrüche zeitigten entsprechende Folgen im globalen Kräfteverhältnis. Churchill versuchte vergeblich, in Kanada eine Exilregierung aufzubauen; denn um dieses Vorhaben erfolgreich zu realisieren, hätte er nicht nur der Unterstützung durch Kanada, sondern auch durch die Vereinigten Staaten bedurft. Die Regierung Roosevelt aber wurde von einer rasch anwachsenden isolationistischen Lobby unter Druck gesetzt und signalisierte Ottawa, dass man nicht bereit sei, Churchill zu unterstützen. Bald einmal war offensichtlich, dass sich die amerikanischen Interessen auf die eigene Hemisphäre beschränken würden; es galt, sich um jeden Preis aus dem Krieg herauszuhalten.

Die Vereinigten Staaten rüsteten weiter auf, um einen allfälligen Angriff durch das von Deutschland dominierte Europa abzuwehren; doch wollte man Hitler in keiner Weise provozieren oder sich auf einen Konflikt im Atlantik einlassen. Roosevelt tendierte vielmehr auf ein Abkommen mit Hitler, das den westlichen Atlantik zur demilitarisierten Zone erklären sollte, damit sich die amerikanische Flotte auf die von Japan her drohende Gefahr im Pazifik konzentrieren konnte. Diese war umso bedrohlicher geworden, als die japanische Regierung den Kollaps französischer und britischer Macht in Europa dazu genutzt hatte, einen Militärschlag gegen Süden zu führen, und dabei binnen nur sechs Wochen Indochina, Thailand und Holländisch-Ostindien unter ihre Kontrolle brachte. Japan verfügte damit über wertvolle Ölressourcen und hatte England ausserstande gesetzt, die Handelswege nach Indien zu schützen.
Siege im Osten

Hitler ruhte unterdessen nicht auf seinen Lorbeeren aus. Nachdem er die westliche Flanke des Reichs gesichert hatte, wandte er sich einem Plan zu, den er seit bald zwanzig Jahren mit sich herumgetragen hatte: der Zerstörung der Sowjetunion und damit dessen, was er als Urquell des «jüdischen Bolschewismus» zu bezeichnen pflegte. Die Armeeführung riet ihm von einem sofortigen Angriff ab: Eine Invasion im August und September erschien nur schon angesichts der Möglichkeit eines verfrühten Wintereinbruchs riskant, und ohnehin würde die Mobilmachung der Armee zu viel Zeit in Anspruch nehmen; nach der Offensive im Westen mussten erst einmal die motorisierten Einheiten wieder kampftüchtig gemacht werden. Man setzte die Offensive also auf den nächsten Frühling an.

Die deutschen Strategen befürchteten auch, dass Widerstand im Balkan den bereits als «Unternehmen Barbarossa» bekannten Militärschlag gegen Russland verzögern könnte. Aber im Herbst 1940 waren Bulgarien, Rumänien, Griechenland, Jugoslawien und die Türkei fest in der Hand der Achsenmächte; und als die deutsche Armee im Mai 1941 in die Sowjetunion einfiel, eroberte sie binnen kurzem Leningrad, die Ukraine und die Industrieregion im Donezbecken. Anfang August stand die Wehrmacht vor den Toren Moskaus. Stalin flüchtete aus der Stadt und liess eine völlig demoralisierte Bevölkerung zurück, die zudem soeben vernommen hatte, dass sich japanische Einheiten durch die Mongolei bis nach Sibirien vorgekämpft und die Rote Armee an der Ostfront Hals über Kopf in die Flucht geschlagen hätten.

Stalins Regime, auf die zentralasiatischen Republiken zurückgedrängt, hatte keine andere Wahl mehr, als mit Deutschland ein Abkommen auszuhandeln. Im Vergleich mit den daraus resultierenden Gebietsverlusten erschienen die peinvollen Konzessionen, die Russland 1918 im Rahmen des Friedensvertrags von Brest-Litowsk aufgenötigt wurden, nachgerade gnädig. Die gesamten Ölreserven des Kaukasus fielen an Deutschland, ebenso die Kornkammer der Ukraine. Nachdem Deutschland bereits die enormen Ressourcen Westeuropas unter seine Kontrolle gebracht und rücksichtslos ausgebeutet hatte, bedeuteten die Kriegsgewinne in Russland, dass nun die Wirtschaft des ganzen europäischen Kontinents in seinen Händen lag.

Auch Japan hatte durch die brutale Besetzung weiter Teile Südostasiens seine materiellen Ressourcen beträchtlich vergrössert. Der nationalistische chinesische Führer Tschiang Kai-schek konnte nicht mehr auf Unterstützung durch die Alliierten rechnen und musste sich den harschen Bedingungen unterziehen, die ihm die Japaner diktierten. Das bedeutete unter anderem, dass China der grossostasiatischen Wohlstandssphäre einverleibt wurde – mit diesem Euphemismus bezeichnete Japan den gewaltigen «Lebensraum», den es sich neu erobert hatte.

Zu diesem Zeitpunkt – im Frühling 1942 – hatten die Vereinigten Staaten ihr Aufrüstungsprogramm beträchtlich beschleunigt. Aber obwohl Roosevelt sich bewusst war, dass es früher oder später zur Konfrontation mit den Achsenmächten kommen musste, bemühte er sich nach Kräften, Friktionen im atlantischen wie im pazifischen Raum zu vermeiden. Der Präsident musste die Schlagkraft der Nation sicherstellen und eine isolationistisch gesinnte Öffentlichkeit davon überzeugen, dass der Krieg irgendwann auch die Vereinigten Staaten heimsuchen würde. Amerikas Wissenschafter arbeiteten derweil fieberhaft an einem Projekt, das die Strategen als letztlich entscheidend für den Verlauf des drohenden Krieges ansahen – sofern die Amerikaner sich dabei nicht von den Deutschen überholen liessen. Aber diese machten dank ihren neu gewonnenen Ressourcen gewaltige Fortschritte bei der Entwicklung nuklearer Sprengköpfe wie auch der Langstrecken-Trägerraketen, die jene an ihr Ziel bringen sollten. Bald schon würden New York und Washington im Schatten des deutschen Atombombenarsenals stehen.
Unter dem Joch

Mai 1945. Fünf Jahre ist es her, dass sich Hitler über Generaloberst Gerd von Rundstedts Rat hinweggesetzt hat. In Germania (vormals Berlin) haben Mitglieder der britischen Regierung zusammen mit Würdenträgern aus ganz Europa unlängst, am 20. April, Hitlers 56. Geburtstag gefeiert und dabei die grösste Militärparade zu sehen bekommen, die je über die Charlottenburger Chaussee marschierte. In Tokio heissen Kaiser Hirohito und Premierminister Matsuoka Yosuke – der Chefstratege hinter den grossen Eroberungen von 1940 und 1941 – Wang Ching-wei willkommen, das Oberhaupt der willfährigen Regierung, die seit vier Jahren in China amtiert. Ein paar Operettenfürsten aus Indien – Statthalter japanischer Macht im vormaligen Herzen des British Empire – sind als Ehrengäste mit eingeladen.

In Südostasien wie auch in ganz Europa sind Millionen einst freier Menschen zur Sklaverei im Dienst ihrer deutschen und japanischen Herren verdammt. Das Elend der gedemütigten Chinesen spottet jeder Beschreibung; in Europa sind Zehntausende Slawen in Viehwagen in gigantische Arbeitslager nahe dem Polarkreis und an der sibirischen Grenze verschleppt worden. Unklar ist, was mit den Juden geschah. Sie sind wie vom Erdboden verschwunden, nachdem sie von den Deutschen und ihren Kollaborateuren in den besetzten Gebieten Westeuropas zusammengetrieben und nach Osten verfrachtet worden waren – höchstwahrscheinlich in den äussersten Norden der vormaligen Sowjetunion. Niemand weiss über ihr Schicksal Bescheid.

Manchmal fängt der amerikanische Geheimdienst etwas von den schrecklichen Gerüchten auf, die von Widerstandsbewegungen im Untergrund weitergereicht werden und die behaupten, dass bis zu elf Millionen Juden vernichtet worden sind. Bemerkenswert sind etwa Berichte, laut denen die Menschen in speziell zu diesem Zweck entwickelten Gaskammern ermordet und ihre Leichen nachher in der Region von Minsk, Kowno, Riga und in den um Moskau gelegenen Wäldern in gleichfalls eigens erbauten gigantischen Verbrennungsanlagen eingeäschert worden seien. Aber diesen Geschichten schenkt niemand Glauben. Sie sind zu irrsinnig, um wahr zu sein.

Hier findet ihr das Original.

2 Antworten to “Spiegelwelten: Wie der Krieg anders verlaufen sein könnte”

  1. xXKronosXx Says:

    Krass! Ein Glück, dass die Geschichte eine andere, wenngleich nicht weniger blutige Wendung nahm.


  2. […] Wobei, jetzt muss ich mir selber ins Wort fallen – es existieren in der heutigen Zeit nahezu untergegangene Untergänge, welche selbst im bierseligen Zustand unertrinkbar unerträglich wären. Da hülfen […]


Hinterlasse einen Kommentar